Institut für Empirische Kulturwissenschaften und Europäische Ethnologie
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Sabine Kiefer M.A.: Abstract Dissertationsprojekt

Schauplätze und Aushandlungen des Deutschen in Blumenau, Südbrasilien

Oktoberfest unter Palmen, Fachwerkhäuser in der Hauptstraße, „Bandinhas“, die lieber Polka als Samba spielen – diese Semantiken des Deutschen finden sich vor allem seit den 1980er Jahren in der heute 300.000 Einwohner zählenden Stadt Blumenau in Südbrasilien.

In den spätmodernen Zeiten von Globalisierung und Migration, in denen Heterogenität und Pluralität Schlagworte wurden, um die Verfasstheit von Kultur und Tradition zu beschreiben, initiierten in Blumenau sowohl Lokalpolitik als auch Privatinitiativen Prozesse der Retraditionalisierung mittels kultureller Formen und geben der Stadt damit einen homogenen Anstrich. Den Grundstein für diese Stadt legten 1850 Dr. Hermann Blumenau, Chemiker aus dem Harz, und 17 weitere Auswanderer im Zuge der damals staatlich geförderten Siedlungspolitik Brasiliens. In der Folge formierte sich die Gesellschaft Blumenaus nach einem schleppend verlaufenden Beginn bis in die 1930er Jahre vor allem durch die Ansiedlung deutscher und ab 1875 auch italienischer Immigranten. Heute ist Blumenau als „deutsche Stadt“ in Brasilien bekannt. Im Oktober 1984 feierte die Stadt das erste Oktoberfest, drei Monate zuvor gründete sich die erste Volkstanzgruppe und Jahre zuvor begann man, die Hausfassaden auf der Hauptstraße mit Fachwerk zu verzieren. Seit 1994 feiert man ebenfalls einmal im Jahr das Festitália.

Wie werden Fragen der Tradition, des kulturellen Erbes und damit verbunden der Identität und Alterität in einer „jungen“, auf Migration basierenden städtischen Gesellschaft im nationalen Kontext eines ehemals kolonisierten und heute sogenannten Schwellenlandes verhandelt? Diese Frage steht im Mittelpunkt des Promotionsprojektes.

Um die Produktion von Differenz in Blumenau in ihrer Alltagspraxis und -relevanz sowie in ihrer sozialen und historischen Bedingtheit zu verstehen, war ich seit Mitte der 1990er mehrfach zu Forschungszwecken dort. Mittels Interviews, teilnehmender Beobachtung und Archivarbeit habe ich Daten zur Ethnisierung anhand der neueren kulturellen Formen gesammelt, zu Identitätspolitiken der Stadt und einzelner Institutionen, zu ausgewählten Orten, die nicht aktiv an den Retraditionalisierungsprozessen beteiligt sind sowie tiefe Einsichten in biografische Konstruktionen einzelner Akteure gewonnen.

„Germanidade“ - so der Sprachgebrauch vor Ort für die symbolische Aufladung der Stadt als deutsch - ist, auch wenn es Homogenität suggeriert, ein äußerst heterogenes Phänomen, das in dieser Arbeit in seiner hegemonialen Stellung vor Ort und Vielgestaltigkeit zu verstehen sein wird.

„Germanidade“ ist weder an den gesamten Raum der Stadt noch an eine soziale Gruppe gebunden, sondern, so die These der Dissertation, als Synonym für die konstante Produktion kulturell definierter Differenz mit Hilfe verschiedener deutsch konnotierter Semantiken, Stereotypen und Narrationen im öffentlichen wie privaten Raum zu sehen. Dabei steht die Rede des Einzelnen über seine Abstammung neben routinisierten, öffentlichen Erinnerungspraktiken, eine Bilderproduktion mittels performativer Akte und Ästhetisierungen neben überlieferten und neu modellierten Diskursen zur „Deutschen Kulturnation“.

Ausgehend von der These, dass sich neben Sprache und Herkunft auch Körper, Architektur und Kleidung als Träger für Markierungen des Deutschen etabliert haben, werden in dieser Dissertation die einzelnen Facetten des Phänomens, ihre Logiken, Bauweisen und Konsequenzen auf lokaler Ebene in einer strikt transnationalen und selbstreflexiven Perspektive analysiert und dabei im lokalen sowie nationalen Kontext positioniert.