Forschung
„Sich und anderen gerecht werden. Relationale Ethiken im Engagement der Pat:innenschaft“
In meiner Dissertation zeige ich, wie Menschen sich im Rahmen eines sozialen Engagements als ethische Subjekte entwerfen. Die ethnografische und kulturanalytische Studie untersucht ein bestimmtes Ehrenamtsmodell – Pat:innenschaft – am Beispiel von zwei Fallstudien: ein Pat:innenschaftsprogramm in der Geflüchtetenhilfe und eines für Kinder psychisch erkrankter Eltern. Im Fokus der Studie stehen qualitative Interviews mit 19 Freiwilligen, die sich im München der Gegenwart freiwillig als Pat:innen engagieren. Vor dem Hintergrund von (moralischen) Diagnosen einer auseinanderdriftenden Gesellschaft und zwischenmenschlicher Entfremdung werden im Rahmen der Arbeit Praktiken und Beziehungen untersucht, die dem entgegenwirken sollen. Als Kernkonzept der Analyse dient mir ein praxisorientiertes und relationales Verständnis von ethischer Subjektivierung.
Folgende Fragen werden in der Dissertation behandelt: Warum engagieren sich Menschen für andere freiwillig? Welche ethischen Anforderungen werden an die Freiwilligen seitens der Hilfesuchenden sowie seitens der Expertinnen in den Programmen gestellt? Welche ethischen Ambitionen verbinden sie selbst mit ihrem Engagement? Was macht das Pat:innen-Sein, das Unterstützen anderer, mit den Selbst- und Gesellschaftsverständnissen der Freiwilligen? Mit einem Interesse für Ambivalenzen und Brüche nimmt die Arbeit in den Blick, welchen Widersprüchen und Dilemmata die Pat:innen in den intimen Eins-zu-Eins-Unterstützungsbeziehungen begegnen und wie sie diese beschreiben, bearbeiten, aushalten und/oder in ihr ethisches Selbstbild integrieren.
Die Arbeit macht deutlich, dass das Ringen mit den eigenen ethischen Ansprüchen und der Fürsorge-Praxis ein inhärenter Bestandteil sozialen Engagements ist. In Pat:innenschaften im Besondern engagieren sich Freiwillige in Form einer anspruchsvollen Beziehungsarbeit, in der sie permanent zwischen Distanz und Nähe, zwischen Selbstwirksamkeit und Machtlosigkeit und zwischen hierarchischer Hilfe-Beziehung und ebenbürtiger Begegnung verhandeln müssen. Die Studie zeichnet damit eine Momentaufnahme zum Zustand einer urbanen Mittelschicht, die sich für mehr Solidarität und Beziehung einsetzen will und dabei mitunter an die Grenzen des Selbst sowie an strukturelle Grenzen stößt.