Institut für Empirische Kulturwissenschaften und Europäische Ethnologie
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Die populäre Kultur und der Staat

Projektleitung: Prof. Dr. Moritz Ege

Laufzeit: SoSe 2014 – SoSe 2015

Auf den ersten Blick sind populäre Kultur und Popkultur durch ihren kommerziellen Charakter bestimmt, dadurch, dass sie sich auf einem Markt durchzusetzen verstehen – im Unterschied zu „ernsthafter“ Kunst, die aufgrund ihres künstlerischen Wertes mit öffentlichen Mitteln und durch Mäzen_innen subventioniert wird. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch schnell, dass solche Unterscheidungen vielfältige Zusammenhänge zwischen populärer Kultur und staatlichem Handeln verdecken. Längst hat sich eine kulturpolitische Wende vollzogen, mit der Popkultur ein künstlerischer Wert zugeschrieben wird. Was in Gegenkulturen wurzelt und so gesellschaftliche Abweichung verkörpert, kann mittlerweile auch im Sinne von Staatsdiener_innen förderungswürdig sein. Die Wechselwirkungen zwischen populärer Kultur und staatlichem Handeln erschöpfen sich jedoch nicht in der ökonomischen Bezuschussung und dem damit verbunden In-Wert-Setzen seitens der Regierenden: Der Staat fördert nicht nur, ebenso reguliert er oder ihm wird opponiert. Um solche Zusammenhänge ging es in diesem zweisemestrigen Lernforschungsprojekt. Es wurden empirisch-kulturwissenschaftliche Perspektiven auf (pop-)kulturpolitische Institutionen, Förderprogramme sowie Regierungstechniken und Vereinnahmungstaktiken in der Praxis eröffnet – sowohl von Kulturschaffenden, als auch der Kulturverwaltung und anderen staatlichen Organen. Die Studierenden gingen in ihren Forschungsprojekten folgenden Fragen nach: Welche Ziele verbinden verschiedene Akteur_innen mit der Förderung populärer Künste und Vergnügungen und welche Vorstellungen von Kultur sind damit verbunden? Welche Formen des Regierens werden dabei eingesetzt und welche Dynamiken und Konflikte entstehen? Wie stellen sich diese Zusammenhänge aus unterschiedlichen Positionen dar? Zwei Studien handelten von Fragen der Zensur: von politischen und rechtlichen Reaktionen auf die rechtslastige Südtiroler Erfolgsband „Freiwild“ sowie von Diskussionen um Zensur und ihre Rechtfertigung in Video-/Computerspielen der letzten Jahre (Bianca Hartmannsgruber, Andreas Mandel). Von Förderpolitiken auf einer anderen Ebene handelte der Beitrag über die Aushandlung populärkultureller Qualitätskriterien zwischen der Gaming-Industrie, Gamer_innen und Jurys staatlicher Förderpreise (Wolfgang Stemmer). Vier weitere Beiträge vertieften die Fragen nach städtischer Kulturpolitik und Stadtkultur: Einer fragte nach Erinnerungserzählungen über die Hochphase der Popkultur in den 1960er-Jahren in München und die Darstellung der Rolle staatlicher Institutionen zu diesem Zeitpunkt (Tatjana Roshchyna); es ging um Auseinandersetzungen über Lärm und Sauberkeit im Münchner Nachtleben und Versuche der konsensuellen Konfliktlösung (Niklas Münch); um ein umfangreiches, EU-gefördertes städteübergreifenden Subkultur-/Kunst-Projekt über Urbanität, Nachhaltigkeit und Popkultur und dessen Rückwirkungen in den dadurch geförderten und gewissermaßen gelenkten Szenen (Oksana Hysa); sowie um die Graffiti-Politik der Landeshauptstadt München und die Rolle eines zu diesem Zwecke erstmals eingestellten Sachbearbeiters und anderer, konkurrierender Mittelsmänner (Frederike Müller-Späth). Vier Forschungsprojekte werden in einem Sammelband im Rahmen der „Münchner Ethnografischen Schriften“ publiziert, der 2018 erscheinen wird. Der Sammelband bildet zwar nicht die Bandbreite der unterschiedlichen Beiträge ab, beinhaltet jedoch bereits eine Vielzahl von Perspektiven auf das Verhältnis zwischen populärer Kultur und Staat: Nico Sedlatschek rückt in seinem Beitrag mit den „Popkulturbeauftragten“ verschiedener bayerischer Städte zentrale Akteur_innen gegenwärtiger kommunaler Popkulturpolitik in den Blick. Er analysiert ihre Interaktionen mit Musiker_innen und mit anderen staatlichen Stellen und zeigt, welch unterschiedliche Schwerpunkte und Möglichkeiten sich in den verschiedenen Städten mit ihren jeweiligen Arrangements und ihren Popkulturverständnissen dabei ergeben. Leonie Thal fragt in ihrer Forschung am Beispiel Ägyptens nach der Relevanz von Popkultur in der Auswärtigen Kulturpolitik. Sie zeichnet in ihrer Fallstudie im Sinne des „studying through“ der anthropology of policy nach, welche Intentionen, Imaginationen, Rhetoriken und Techniken die diesbezügliche Förderpolitik quasi-staatlicher Institutionen prägen und wie ambivalent die Lage ist, in die die unabhängige Popkultur-Szene in Kairo im Zuge solcher Förderpolitiken gerät Lukas Rödders Beitrag geht zurück in die 1970er-Jahre und widmet sich dem Verhältnis gewerkschaftlicher Jugendorganisationen zur Popkultur, wie es in diesen popkulturellen und politischen Umbruchsjahren in der Zeitschrift „ran“ zu beobachten war, die von der Gewerkschaftsjugend herausgegeben wurde. Er verdeutlicht wie sich die Konflikte um „echten“ versus „kommerziellen“ Pop gesellschaftsgeschichtlich einordnen lassen. Julian Schmitzberger untersucht in seinem ethnografischen Beitrag das „Feiern“ in München und deren stadträumliche Seite. Ausgehend von Medienberichten über vermeintliche Problem- und Gefahrenzonen der nächtlichen Stadt zeigt diese Studie, wie die Polizei und andere Behörden öffentlichkeitswirksam für „Sicherheit“ zu sorgen beanspruchten und dabei Kooperationen mit Akteur_innen der Sozialarbeit eingingen, aber auch Clubbetreiber_innen in ihr Netzwerk zu integrieren.