Institut für Empirische Kulturwissenschaften und Europäische Ethnologie
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Cindy Drexl: Sehnsucht nach dem Wilden Westen. Rollenspiel als „Alltags“-Flucht? Eine empirische Untersuchung am Beispiel des Münchner Cowboy Clubs.

Betreuung: Prof. Dr. Irene Götz

Cowboys in München? Mitten in der Gothic-, Mittelalter-, Anime- oder Fantasy-Rollenspiel- und Fan-Szene gibt es Hobbyisten, die sich für Nordamerika und den einstigen Wilden Westen begeistern. Als Mitglieder des Cowboy Club München 1913 e.V., dem ältesten heute noch existierenden Cowboy- und Indianer-Verein Deutschlands, interessieren sie sich für die Geschichte Amerikas, für Cowboys und Indianer, deren Lebensweise, Kultur als auch Bräuche. Recherche, Wissensaustausch, Reiten, das „do it yourself“, etwa beim Gerben oder Nähen, bei Silber- und Lederarbeiten sind wesentliche Bestandteile im Cluballtag des kulturhistorischen Vereins.

In ihrer Freizeit nennen sich die Mitglieder Billy Cherokee, John Grand, William Howard, Angus O´Taylor, Enrique Belmonte, Janice White, Großer Wille oder Wabli Sunkmanitu Tanka. Sie widmen sich einem Hobby, das aufgrund seines Themenschwerpunktes (Cowboy, Indianer und Wilder Westen) und seines intensiven Vereinslebens in einer globalisierten, postfordistischen (Arbeits-)Welt anachronistisch wirkt. An einem, an der Isar mitten in München gelegenen und dennoch versteckten Ort, haben sich die Cowboys, „Indianer“, Trapper und Mexikaner ihren eigenen Sehnsuchts(t)raum erschaffen. Das Isartal ist ihre Prärie. Die eigene „Ranch“ mit einem authentischen, an Westernfilme erinnernden Saloon, eine nachgebaute Handelsstation, die sogenannte „Green River Station“, der Pferdestall, die Koppel und die zwei eigenen Clubpferde, als auch ein Bereich mit Lodges und Tipis bieten den Mitgliedern einen atmosphärischen Rahmen für Ihr Hobby. Es ist ein Möglichkeitsraum zum Ausverhandeln der eigenen (gar zweiten?) Identität und zum Ausleben dieses spezifischen Hobbys. In ihrer „Ranch“ sowie bei externen Veranstaltungen steht das gesellige Miteinander und das „Living History“, also das Nachleben bzw. Nachempfinden einer bestimmten Epoche, im Vordergrund. Aber was treibt heute Erwachsene Cowboy und „Indianer“ zu spielen? Ist es eine Faszination für eine andere Kultur, für ein Amerika der Vergangenheit oder eine Form des Eskapismus?

Leitende Fragen dieser Forschungsarbeit sind unter anderem in Anlehnung an Gisela Welz Begriffsverständnis von Repräsentation: Welches Wissen, welche Werte und Traditionen werden wie im Feld verhandelt und an Neue weitergegeben? Was bedeuten Kleidung und Objekte für die eigene Inszenierung respektive Identität? Wo und wie findet kulturelle Aneignung statt? Wie wird Geschichte vor dem Hintergrund von Authentizität und Echtheit angeeignet, erlebt und erlebbar gemacht?

Das umfassende empirische Material basiert auf leitfadengestützten Interviews und einer intensiven Feldforschung, die zwischen teilnehmender Beobachtung als Forscherin und beobachtender Teilnahme als Mitglied des Cowboy Clubs jongliert. Diese Dissertation möchte einen aktuellen Beitrag zur volkskundlichen Vereinsforschung liefern und den Kosmos Cowboy Club in seiner Vielschichtigkeit und Eigenart beschreiben.