Institut für Empirische Kulturwissenschaften und Europäische Ethnologie
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Daniel Habit: Abstract Dissertationsprojekt

Dissertationsprojekt Habit: Die Inszenierung Europas? Kulturhauptstädte zwischen EU-Europäisierung, Cultural Governance und lokalen Eigenlogiken

Die zunehmende überstaatliche Organisation Europas auf administrativer und wirtschaftlicher Ebene seit den römischen Verträgen gewann durch den Vertrag von Maastricht 1992 eine zunehmend zivilgesellschaftliche Komponente. Dieser nahezu alle Lebensbereiche umfassende Prozess der europäischen Vergemeinschaftung mit seiner neuen ökonomisch-politischen Ordnung, seinem normativen Gehalt und seinem Eingreifen in vormals nationalstaatliche Angelegenheiten konnte anfangs losgelöst von der Bevölkerung in den Mitgliedsstaaten erfolgen, solange sich die EU primär als wirtschaftlicher Zusammenschluss verstand und von den Menschen in Europa auch als solcher angesehen wurde. Doch mit der zunehmenden Politisierung und Alltagsverflechtung ergibt sich für die EU ein erhöhter Legitimations- und Selbstvergewisserungsbedarf, der sich in den mannigfaltigen Symbolkonstruktionen und den weitverzweigten EU-europäischen Kulturprogrammen widerspiegelt. Noch sind diese relativ blass und erscheint in seiner Beliebigkeit ohne große identifikationsstiftende Wirkung als politisches Marketing und nicht Ergebnis von riskanten Commitments und historischen Entscheidungen.

Neben einer Darstellung des EU-Konzepts der „Kulturhauptstadt Europas“ sowie des Bewerbungs- und Berufungsprozederes werden in diesem Dissertationsprojekt die dahinterstehenden Absichten und Zielsetzungen der EU beleuchtet sowie die potentiellen Möglichkeiten einer europäischen Identität erörtert. Mit dem Blick auf die drei Kulturhauptstädte 2006/2007 wird nach Erinnerungs- und Inszenierungsdiskursen gefragt und die Umsetzung der EU-Vorgaben im lokalen Kontext genauer untersucht. Aus der Perspektive eines „Habitus der Stadt“ (Lindner 2003) sollen die Transformations- und Europäisierungspotentialen im urbanen Umfeld in den Blick genommen werden, die zwischen EU-Vorgaben und lokaler Wahrnehmung oszillieren und beides zu vereinen suchen. Dabei soll eine auf Europäisierungsprozesse ausgerichtete volkskundliche Kulturwissenschaft sich nicht nur auf Bilder, Metaphern, Objektivationen und Narrationen (EU-)Europas beschränken, sondern ihren Kulturbegriff so wählen, dass auch die Aushandlungs- und Aneignungsdiskurse sowie die evozierten und begleitenden Transformationen mit berücksichtigt werden können, die auch als ein kultureller Ausdruck Europas verstanden werden können. Die drei gewählten Städte Patras, Sibiu und Luxemburg bilden dabei in gewisser Weise die extremen Eckpunkte eines Spannungsdreiecks, da sie sich jeweils vor ihrem lokalen, regionalen und nationalen Hintergrund in ganz unterschiedlicher Weise als europäische Stadt begreifen und mit dem EU-Konzept auseinander setzen. Der urbane Raum wird umetikettiert und sowohl für die Stadtbewohner wie -besucher neu erlebbar gemacht, Perspektivenwechsel, Raum bzw. Platz für Neuentdeckungen und Uminterpretationen und somit für Nutzungstransformationen wird geschaffen, sicherlich auch vor dem Hintergrund eines gewandelten Verhältnisses zwischen Bürger und kommunaler Verwaltung. Mit Ueli Gyr lässt sich zweifellos von „Festivalisierung und Eventisierung als [einer] urbanen Identitätsleistung“ sprechen. Eine europäische Identität ist im Gegensatz zu anderen kollektiven Identitätsmodellen oder Identitätsfacetten demnach nicht als Teil eines unbewussten Auseinandersetzens oder des Sozialisierungs- und Enkulturationsprozesses zu verstehen, europäische Identität braucht hingegen ein bewusstes Auseinandersetzen mit den einenden Werteverständnissen in Europa, sie erscheint als das Produkt dieses Arbeitsprozesses. Aufbauend auf einer Auswertung der Sekundärliteratur und einer Analyse des Kulturkonzepts der EU begleitet eine Medien- und Dokumentenanalyse die mit Interviews verbundenen, teilnehmenden Beobachtungen in den drei Städten, um durch einen Vergleich das sehr unterschiedliche europäische Selbstverständnis der drei Städte herauszuarbeiten. Dabei geraten vor allem auch Fragen nach den „blinden“ bzw. tabuisierten Flecken in der Stadtgeschichte in den Mittelpunkt der Forschung. Eine auf Europa bezogene Volkskunde muss dabei nach den zur Ausstattung mit einem europäischen Code bemühten Symbolen und Bezugspunkten fragen, die Funktionsweisen der zu erbringenden Umcodierungsprozesse untersuchen und die jeweiligen Europakonzeptionen herausarbeiten, die die entsprechenden Trägergruppen heranziehen und auf die sie abzielen.

Veröffentlichung:
Daniel Habit: Die Inszenierung Europas? Kulturhauptstädte zwischen EU-Europäisierung, Cultural Governance und lokalen Eigenlogiken. 2011, Münchner Beiträge zur Volkskunde, Band 40, 328 Seiten, broschiert, 24,90 €, ISBN 978-3-8309-2514-9