Institut für Empirische Kulturwissenschaften und Europäische Ethnologie
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Maria Schwertl: Abstract Dissertationsprojekt

Migranten in der Entwicklungszusammenarbeit: Zwischen Brain Gain, Integration und Doing Policy

Wenn sich migrantische Selbstorganisationen, „nationale Entwicklungshilfeträger“, kommunale Integrations- oder Interkulturalitäts-Stellen und internationale Organisationen derzeit auf ein gemeinsames Thema einigen können, so lässt sich dieses mit Brain Gain benennen. Brain Gain meint den durch Emigration erlangten Zugewinn des Emigrationslandes an Kompetenz, Wissen, Fertigkeiten, Netzwerken und Geldmitteln und setzt auf eine enge Bindung der im Ausland lebenden „Diasporen“ an ihre „Heimat“ und die dort verbliebenen Familien und Freunde. Während die Brain-Gain-Perspektive bereits 1994 auf der UN Population and Development Conference in Kairo propagiert wurde, regte das erste Global Forum on Migration and Development (GFMD), welches 2007 mit Unterstützung der International Organization for Migration (IOM) in Belgien stattfand, zahlreiche lokale, kommunale, regionale, nationale, sowie internationale Projekte an oder intensivierte sie und führte damit zu einer Verbreitung und Umsetzung der Perspektive. Die derart angetriebenen Projekte zielen darauf ab, Wissen, Geld und soziale Kontakte von Diasporen strategisch und gezielt für die Entwicklung ihrer „Herkunftsländer“ zu nutzen und wollen damit monetäre oder auch soziale und kulturelle „Rücküberweisungen“ generieren oder kanalisieren.

Meist gehen die beschriebenen Projekte von den Zielländern der Migration aus und fügen sich in deren Entwicklungshilfe ein – es gibt allerdings auch Projekte von Seiten der Herkunftsländer. Zurückgegriffen wird jedoch auch auf Projekte, welche bereits auf Grund von Migrantenselbstorganisationen (MSOen) bestehen. Als Brain-Gain-Projekt kann eine große Bandbreite von Projekten bezeichnet werden: Neben zahlreichen virtuellen Wissensnetzwerken soll auch Capacity-Building bei Behörden und Unternehmen im Herkunftsland oder von Verwaltung und MigrantInnen im Zielland die optimale Ausnutzung der Migration fördern. Mit einer spezifischen Art solcher Brain-Gain-Projekte, nämlich mit kommunalpolitisch durchgeführten, beschäftigt sich das vorgelegte Dissertationsprojekt. Besonders berücksichtigt werden soll dabei der Zusammenhang von Diskurs, Diskursproduktion und Politikproduktion, wie er in den Feldern der Brain-Gain durchsetzten Migrations- und Entwicklungspolitik wesentlich scheint. Als Produzenten von Politik werden dabei aber nicht nur Politiker und sich als politisch verstehende Interessensgruppen angesehen, sondern auch andere Organisationen und Privatpersonen, sowie darüber hinaus Materialisierungen, Objekte und Texte. Letztere „Akteure“, die insbesondere auch Diskursträger sind, werden also nicht allein als sozialdeterminierte Interfaces angesehen, sondern als Mediatoren mit eigenen Logiken und Effekten. Insofern soll hier ein sehr weiter Akteursbegriff verwendet werden, der sowohl Menschen als auch Non-Humans umfasst, von der Actor-Network-Theory geprägt ist und in der Bezeichnung Aktant zum Ausdruck kommt (vgl. Latour 1996).

Zum einen interessiert sich die hier skizzierte Dissertation also für Effekte und Genealogien von Diskursen bzw. diskursivem Wandel. Sie möchte den Fragen nachgehen, wie der Brain-Gain-Diskurs von migrantischen Selbstorganisationen und in der kommunalen Entwicklungspolitik in München verwendet (aktualisiert, produziert und [trans]lokalisiert) wird, wie (im Kontext der neueren Brain-Gain-Debatten) „kommunale Entwicklungspolitik“ gemacht (und eventuell der Diskurs institutionalisiert) wird und welche (nicht-diskursiven) Effekte damit solch ein spezifischer Diskurs hat. Zum anderen soll bei diesen Fragen besonders im Vordergrund stehen, wie MigrantInnen Entwicklungspolitik und -projekte betreiben und welche Art von Remittances dabei im Vorrang steht – wie sich also Brain Gain in Hilfsprojekten vollzieht. Damit soll einem Netzwerk aus Diskursen, Projekten und Politiken gefolgt werden.