Institut für Empirische Kulturwissenschaften und Europäische Ethnologie
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Schweiger, Petra - Zu Hause wohnen bleiben. Arrangements von Alltagsbewältigung Münchner Rentnerinnen im häuslichen Bereich

Betreuung: Prof. Dr. Irene Götz

Beratungsbroschüren zeigen, wie ein selbstbestimmtes Leben im Alter aussehen kann – strahlende Senior*innen sind in geräumigen Wohnungen und Treppenhäusern zu sehen, während sie moderne Ambient Assisted Living-Techniken oder Treppenlifter benutzen. Sie erwecken den Eindruck eines komfortablen und sicheren Lebens in der eigenen Wohnung und die Hoffnung, im Alter zuhause wohnen bleiben zu können und gut versorgt zu leben, auch wenn der Körper irgendwann einmal gebrechlich wird. Doch diese normativ gefärbten Bilder, die bürgerliche Lebensverhältnisse und mittelständische Arrangements abbilden, entsprechen nicht unbedingt den alltäglichen Lebenswelten, in denen gerade Rentnerinnen in größeren Städten bei teurer Miete leben, in denen Umbauten oft nur schwer finanzierbar sind oder aus anderen Gründen, wie die Angst vor dem Heim, ein Umzug nicht in Betracht gezogen wird.
Wie Rentnerinnen in München ihren Alltag und ihre Lebensführung aufrechterhalten, wenn der Alltag körperlich bedingt beschwerlicher wird, ist das Thema dieses Dissertationsprojekts. Es fragt danach, wie am Erhalt von Selbständigkeit gearbeitet wird – auch im Hinblick darauf, dass zukünftig eventuell eintretende Einschränkungen antizipiert werden oder der Verlust einer selbständigen Lebensführung befürchtet wird. Ziel des Vorhabens ist es, die Strategien und Arrangements aus gelebten Praktiken, materiellen Umwelten und sozialen – mehr oder weniger – vorhandenen Netzwerken sowie deren Subtilität und Fragilität sichtbar zu machen.
Anhand von Beispielen aus dem Sample zweier Forschungsprojekte – dem Projekt „Prekärer Ruhestand. Arbeit und Lebensführung von Frauen im Alter“ (2015-2018) und dem an der Universität der Bundeswehr München angesiedelten Projekt „ATASeN“ (Anwendungsfelder für Technik im Alltag von Senioren aus Nutzersicht, 2014–2016) – sowie weiterer Interviewpartnerinnen, können in der Arbeit Fälle beschrieben werden, die diese Alltagsarrangements besonders gut zeigen. Sie betreffen reproduktive Tätigkeiten im Haushalt oder am eigenen Körper, Mobilität, das Wohnen oder die Selbstorganisation. Wie wird zum Beispiel mit Dingen, dem eigenen Körper oder der Wohnung als Lebensort im engeren und weiteren Sinn umgegangen, um sich Mobilität in und um die Wohnung herum zu ermöglichen? Wie organisieren sich die Rentnerinnen zeitlich, um den Alltag wie gewohnt zu leben? Und wie setzen sie soziale Beziehungen ein, um sich dauerhaft zuhause versorgen zu können? An welche (biografischen) Erfahrungen, medialen Diskursen und Rollenbildern sowie Einstellungen und Wertehaltungen, wie zum Beispiel dem Wunsch nach Selbständigkeit und der Vermeidung von Abhängigkeit, knüpfen sie dabei an? Mit welchen inneren und äußeren Ressourcen begegnen sie vorhandenen oder antizipierten Barrieren? Und wie werden die Strategien zu einem fein ausziselierten, aber auch fragilen Bewältigungsarrangement angeordnet, das gefährdet ist, wenn ein Baustein des Komplexes an Strategien und Praktiken wegfällt und über kurz oder lang ein partieller Ausschluss von Teilhabe und sozialer Sicherung droht?
Methoden aus der ethnologischen Feldforschung (Teilnehmende Beobachtung, leitfadenorientierte und offenere Formen interaktiver Interviews) sowie Konzepte eines weiter gefassten (objektiven und subjektiven) Prekaritätsbegriffs, der Kapitalsorten nach Bourdieu und der Alltäglichen Lebensführung helfen, die in Praktiken und Strategien enthaltenen Ressourcen und Vulnerabilitäten in Relation zueinander zu stellen und dadurch die gelingenden und gleichzeitig fragilen Arrangements sichtbar zu machen, die in umwelt-, sozialgerontologischen oder therapeutischen Perspektiven auf ein „Leben im Alter“ tendenziell unsichtbar bleiben.