Institut für Empirische Kulturwissenschaften und Europäische Ethnologie
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Albanien – Kosovo – Mazedonien (25. März–6. April 2015)

Vom 25.3.–6.4. veranstaltete das Institut für Volkskunde/Europäische Ethnologie eine Exkursion nach Albanien, Mazedonien und Kosovo. Vorbereitet wurde die Exkursion durch ein dazugehöriges Seminar im Wintersemester 2014/2015, in dem neben einer historischen und politischen Einführung in diese Region vor allem Themen behandelt wurden, die sich mit den Nation-Building-Prozessen in dieser Region seit dem Jugoslawienkonflikt auseinandersetzen bzw. auf diesen beruhen: Migration und Landflucht, Stadtentwicklung und Erinnerungspolitiken sowie der generelle Umgang mit dem Erbe des Sozialismus und der Weg hin zu einem möglichen EU-Beitritt. Den Auftakt bildete die albanische Hauptstadt Tirana, die zunächst mit einem ausgiebigen Stadtrundgang zu den verschiedenen stadtstrukturell relevanten Orten erschlossen wurde und bei dem vor allem auch das eigene Wahrnehmen der Studierenden im Vordergrund der Reflexion stand. Eine Fortsetzung fand diese Art der Stadtannäherung am darauffolgenden Tag in einem Treffen mit Nebi Bardhoshi, der das Fach Kulturanthropologie an der Albanischen Akademie der Wissenschaften vertritt und seinen Studierenden; neben allgemeinen Informationen zu der Rolle von Wissenschaft in der albanischen Gesellschaft gab er vor allem auch einen Einblick in die fachgeschichtlichen Diskurse einer ethnographisch ausgerichteten Albanologie. Endpunkt des Tiranaaufenthaltes bildete der Besuch eines Vorortviertels im Norden der Stadt, in dem Nebi Bardhoshi Feldforschungen unter Roma mit Hinblick auf die durch ungeplante Stadtentwicklung entstehenden Probleme durchführte. So konnten wir einen sehr einprägsamen Einblick in die Schwierigkeiten der albanischen Gesellschaft bekommen; gerade die Abwanderung aus ländlich geprägten Gebieten in den Ballungsraum Tirana-Durres und die Vielzahl der illegal errichteten Häuser ohne Ver- und Entsorgungsinfrastruktur, bei einer steigenden (Jugend-)Arbeitslosigkeit, werden sich gerade auch in den nächsten Jahren als große Herausforderung für die immer wieder von Korruptionsskandalen erschütterte albanische Gesellschaft erweisen.

Über Prizren ging die Fahrt weiter durch das Kosovo, wo wir in der Ortschaft Suhareka durch den für die örtliche Polizei arbeitenden Onkel einer Teilnehmerin sehr erschütternde Einblicke in die immer noch offenen Wunden des Kosovo-Konflikts bekamen, aber auch durch den Besuch einer Musikschule Beispiele für gerade auf Kinder und Jugendliche zielende Traumaarbeit bekamen. Durch einen Aufenthalt im Haus des Onkels wurde uns ein lebhafter Einblick in das „normale“ Familienleben in einem kosovarischen Dorf vermittelt und die prägenden Probleme der Gegend greifbar – von 152 Häusern des Dorfes stehen 76 leer, die Besitzer sind vor allem nach Deutschland abgewandert und hinterlassen somit auch eine nicht mehr funktionierende Dorfgemeinschaft, in der viele wichtige Positionen nicht mehr besetzt werden können und somit der Abwanderungsdruck auf die Zurückgebliebenen steigt. Die Weiterfahrt nach Pristina führte noch über das sehr eindrucksvolle Adem-Jashari Denkmal in Prekaz, das durch die zufällige Anwesenheit eines Bruders des getöteten UCK-Kommandanten eine sehr persönliche Note bekam und die generelle Frage nach der Unterscheidung zwischen Märtyrer und Terrorist sehr greifbar machte.

Auch das Nachtleben in Pristina offenbarte grundsätzliche Probleme dieses jungen Landes, von der hohen Arbeitslosigkeit bei einer gleichzeitigen Akademikerrate von 35% unter den Unter-35jährigen, stark wahrzunehmenden Geschlechterhierarchien bis hin zu den offen geäußerten Abwanderungsplänen gepaart mit dem familiären Druck, dem gerade junge Männer ausgesetzt sind. Diese Beobachtungen konnten sowohl in einer stattfindenden Reflexionsrunde als auch am nächsten Tag in einer ausführlichen Diskussionsrunde mit kosovarischen KollegInnen an der Universität fortgeführt werden; gerade auch der Austausch mit jungen Studierenden erwies sich als gewinnbringend für beide Seiten. Nach einem Besuch des lokalen Freilichtmuseums mit einem der ältesten Wohnhäuser in der Balkanregion und des lokalen Marktes ging es weiter in die mazedonische Hauptstadt Skopje. Hier standen neben Spaziergängen zur sozialistischen Stadtentwicklung und ein Besuch des osmanischen Stadtteils die verschiedenen im Zuge des Nation-Buildings-Prozesses „Skopje 2014“ entstandenen Denkmäler und Museen im Mittelpunkt, die in ihrer ganz eigenen Bildsprache und schieren Größe bei den meisten TeilnehmerInnen ein befremdendes Gefühl hinterließen. Über Kavadarci und einen Besuch der dortigen Weinanbaugebiete, die angesichts neuer europäischer Märkte vor großen strukturellen Herausforderungen und Umbrüchen stehen, ging die Fahrt weiter nach Ohrid. Am Ufer des Sees fand sich zum einen Ruhe und Zeit für nötige Reflexions- und Diskussionsrunden zum anderen stand die Besichtigung der verschiedenen zahlreich zu findenden orthodoxen Kirchen, Kapellen und Klöster auf dem Programm. Besonders interessant waren hier die in Hinblick auf Konservierung und Inszenierung oftmals fragwürdigen Touristifizierungspraktiken.

Die Weiterfahrt führte über das zum Weltkulturerbekomplex Ohrid gehörende orthodoxe Kloster Svanti Naum zurück nach Albanien – hier konnte die Reisegruppe unfreiwillig das Funktionieren des Europäischen Grenzsystems am eigenen Leib nachvollziehen, als sich durch eine karfreitagsbedingte etwas verzögerte Passprüfung zwischen mazedonischer Grenzstation, deutscher Botschaft in Skopje, BKA Frankfurt, LKA München und einer Münchner Polizeidienststelle der Aufenthalt an der Grenze auf acht Stunden ausdehnte (dass dabei der Fehler bei den deutschen Behörden lag und einzig die mazedonischen Behörden richtig arbeiteten, ließ einige Vorurteile über den korrupten Balkan in sich zusammenfallen). Der geplante Besuch in der albanischen Planstadt Kucova musste dementsprechend ausfallen und erst in der Nacht wurde mit Berat eine weitere Weltkulturerbestadt in Zentralalbanien erreicht, die bereits zu kommunistischen Zeiten zur „Museumsstadt“ ernannt worden war und in den letzten Jahren eine Art „Potemkinisierung“ erfahren hat. Nach einem ausgiebigen Stadtrundgang mit einem ehemaligen Deutschlehrer (und einem dazugehörigen etwas seltsamen Deutschlandbild) folgte die Weiterfahrt an die Küste bis in die Hafenstadt Durres, in der vor allem die Folgen der ungeplanten Stadterweiterung in den 1990er und 2000er Jahren und des einsetzenden (bzw. erhofften) Massentourismus entlang des 20km lang verbauten Küstenabschnitts eindrucksvoll erfahren werden konnten. Am letzten Tag stand nach der Rückkehr nach Tirana eine ausgiebige Abschlussdiskussion auf dem Programm, die in einem der wenigen „traditionellen“ albanischen Restaurants stattfinden konnte und bei der die Teilnehmenden sich neben der Reflexion über ihr eigenes Thema vor allem auch mit den eigenen Vorurteilen und Stereotypen über den „Balkan“ konfrontiert sahen.

Resümierend bleibt festzuhalten, dass sich diese Region ausgezeichnet für eine Exkursion im Rahmen des Studiengangs Europäische Ethnologie eignet – eine Vielzahl relevanter Themen (Migration, Gender, Erinnerung, Stadtentwicklung, Europäisierung, Kulturelles Erbe, Tourismus, Subkultur, Musealisierung, Sozialistisches Erbe, Fachgeschichte) lassen sich vor Ort greifbar erfahren, im Gespräch mit jungen Fachkolleg_innen vor Ort kontextualisieren und mit den Studierenden gewinnbringend aufarbeiten; noch dazu in einer europäischen Region, die den meisten Teilnehmenden zunächst völlig fremd ist, mit Stereotypisierungen aufgeladen ist, durch eine in Teilbereichen ausbaufähige Infrastruktur zu Improvisationen zwingt, durch ein hohes Maß an Aufgeschlossenheit und Gastfreundschaft zu überzeugen weiß und auch mit einem geringen Reisebudget zu bewältigen ist (eine für eine studentische Exkursion nicht zu unterschätzende Komponente).