Sevilla ‒ Kulturwissenschaftliche Stadtforschung (22.‒29. April 2011)
Die Exkursion nach Sevilla, die 15 Studierende der Europäischen Ethnologie unter der Leitung von Christiane Schwab und Daniel Habit vom 22.-29. April durchgeführt haben, hatte folgende Ziele: Zunächst sollten sich die Studierenden unter kulturwissenschaftlichen Gesichtspunkten mit der Hauptstadt Andalusien befassen und einzelne Bereiche des städtischen Lebens mittels ethnologischer Methoden eigenständig ergründen. In diesem Sinne führten sie Interviews und teilnehmende Beobachtungen zu Themen durch, zu denen sie sich bereits im Vorfeld der Exkursion durch Literaturrecherche informiert hatten. Die Verknüpfung zwischen Theorie und Empirie konfrontiert die Studierenden mit einer besonderen Lernsituation, die ihnen nur Exkursionen und Projektseminare bieten können.
Die ersten zwei Tage der Exkursion dienten vor allem dem Kennenlernen des Stadtgrundrisses und der Stadtentwicklung. Dementsprechend veranstalteten wir einen thematischen Spaziergang mit Vorträgen der Studierenden. Vor allem aber sollten der Karfreitag und der Samstag dazu dienen, einen Einblick in die Manifestationen der Sevillanischen Karwoche zu erhalten. Dazu schauten wir uns einige Prozessionen in der Gruppe an; anschließend sollten die Teilnehmer alleine oder in kleinen Gruppen das Ereignis auf sich wirken lassen und ihre Beobachtungen systematisch aufzeichnen.
Die Tage darauf beschäftigten sich mit den „Mythen von Sevilla“, dem Image der Stadt in Literatur, Kunst und Stadtmarketing, sowie dem Umgang von Sevilla mit seiner Geschichte. Wir besuchten in diesem Sinne die Stierkampfarena und bestimmte Orte in der Stadt, die in enger Verbindung mit jenen kollektiven Repräsentationen stehen, die das Selbst- und das Fremdbild der Stadt ausdrücken – wie das Flamencomuseum, die Stierkampfarena oder das Barrio de Santa Cruz. In diesem Viertel, das durch den Tourismus geprägt ist, konnten die Studierenden zudem gleich untersuchen, welche Bilder der Stadt auf dem touristischen Markt überwiegen. Im Zusammenhang mit dem Gedächtnis der Stadt besuchten wir unter anderem das Indienarchiv und die alte Tabakfabrik; zudem besuchten wir mit der gesamten Gruppe in der Universität Sevilla eine Vorlesung der Geschichtsprofessorin Mercedes Gamero Rojas, die für uns einen Vortrag zum Thema „Das 16. Jahrhundert in Sevilla“ vorbereitet hatte. Am Nachmittag des vierten Tages und am fünften Tag befassten wir uns mit der Festivalisierung von Städten und mit dem Thema der lokalen Identität. Wir hörten einen Vortrag über die Weltausstellung von 1992 und besuchten das Gelände, auf dem das Ereignis stattgefunden hat, um die Nachnutzung der Infrastruktur zu dokumentieren. Bei einem Tag an der außerhalb der Stadt liegenden Universität Pablo de Olavide arbeiteten wir gemeinsam mit Studierenden des Instituts für Übersetzung und angewandte Fremdsprachen. Es ging hier insbesondere um ihr Leben im Kontext der Stadt Sevilla, ihre Identifikationen mit der Stadt und der Region Andalusien und ihre Familiengeschichten in ihren lokalen Zusammenhängen.
Am sechsten Tag fuhren wir in die Kleinstadt Coria del Rio und besuchten das Museo de la Autonomía de Andalucía. Sevilla ist seit 1980 die Hauptstadt der autonomen Region Andalusien, und die Führung durch das Museum zeigte der Gruppe die gewandelte Funktion der Stadt in ihrem regionalen Kontext auf. In der zweiten Tageshälfte trafen wir Prof. Steingress von der Universität Sevilla, der uns mit vielem Video- und Bildmaterial eine Einführung in den Flamenco und seine Bedeutung im lokalen Kontext in der Stadt Sevilla gab. Am Abend trafen sich die Exkursionsteilnehmer erneut in Kleingruppen mit den Studierenden der Universität Pablo de Olavide, die sie an einige Orte des Flamenco in Sevilla führten. Die letzten zwei Tage waren den Themen Gentrifizierung und nachhaltige Stadtentwicklung gewidmet. Neben selbstständigen ethnografischen Spaziergängen mit anschließenden Diskussionen wurden wir vom Architekten und Stadtplaner Ventura Galera durch das Viertel Macarena geführt, das sich derzeit im sozialen Umbruch befindet. Zudem führte uns der Geograph Manuel Canto auf Fahrrädern durch einige Viertel der Stadt, um uns über die räumliche Entwicklung Sevillas in den letzten Dekaden zu informieren und uns einen Bericht über akute stadtpolitische Brennpunkte zu geben.
Drei Wochen nach der Exkursion organisierte die Gruppe ein Nachtreffen, zu dem das gesamte Institut eingeladen war. In diesem Zusammenhang wurden das gesamte Programm und die Ergebnisse der Exkursion noch einmal für ein größeres Publikum auf- und nachbereitet.