Institut für Empirische Kulturwissenschaften und Europäische Ethnologie
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Die Steiermark: Transformationen von Kulturlandschaften – Wanderexkursion im September 2010

Die Steiermark ist auf Grund seiner Grenzlage in Österreich – welche in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts teilweise auch eine Grenzlage innerhalb Europas bedeutete – eine der interessantesten europäischen Kulturlandschaften, welche durch die Osterweiterung nun wieder äußerst zentral in und für die EU geworden ist. Das österreichische Bundesland verkauft sich momentan als „Partner, für alle, die in Südost- und Osteuropa unternehmerisch tätig werden wollen“. Nicht nur die Grenze zu Slowenien und die lange Zeit verleugnete slowenische Minderheit in der Steiermark, sondern auch die ökonomische Entwicklung der Steiermark stellt einen interessanten Einflussfaktor auf das kulturelle Gepräge der Region dar: als wasserreichste Region Mitteleuropas boten sich gute Grundlagen für die Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, welche vor allem durch die Eisenindustrie, aber auch die wasserintensive Produktion beispielsweise von Papier und Bier getragen wurde. Ebenso wichtig waren aber auch Kohlebergwerke. Dazu kamen und kommen agrarisch und touristisch geprägte Regionen wie insbesondere das Ennstal. Historisch gesehen war die Region bis heute immer wieder massiven Umbrüchen unterworfen – Postindustrialisierungsprozesse inklusive.

Vom 18. bis 25. September 2010 führte also eine – vom DAAD co-finanzierte – Exkursion unter der Leitung von Johannes Moser und Maria Schwertl in die Steiermark. Im Zentrum des Interesses standen die Veränderungsprozesse, die dieses österreichische Bundesland und seine verschiedenen Kulturlandschaften im 20. Jahrhundert und insbesondere in den letzten Jahrzehnten durchlaufen haben. Ausgewählt wurden dafür verschiedene Regionen und die Hauptstadt, die jeweils landschaftliche, ökonomische und kulturelle Spezifika aufweisen. Eine Besonderheit der Exkursion lag darin, dass in den einzelnen Regionen Wanderetappen zu absolvieren waren, bei denen die jeweiligen Interessensschwerpunkte durch qualifizierte Führungen von Kolleginnen und Kollegen vor Ort näher gebracht wurden. Dies stellte besondere Herausforderungen an Körper und Geist, erwies sich aber als gelungenes didaktisches Experiment, das zudem großen Spaß bereitete.

Die Exkursion begann beim Landschaftsmuseum Trautenfels, wo uns Katharina Krenn und Wolfgang Otte nicht nur das überaus interessante Museum zeigten, sondern die konkreten Transformationen von Almwirtschaft und Tourismus in zwei Wanderungen zu verschiedenen Almen und in Gesprächen mit den die Alm bewirtschaftenden Menschen näher brachten. Ergänzt wurden diese Wanderungen durch ein abendliches Round Table- Gespräch mit dem Geschäftsführer des Naturparks Sölktäler Volkhard Maier. Die nächste Etappe führte uns in einer mehrstündigen Weg auf einem der vielen Pilgerwege nach Mariazell, wo uns Helmut Eberhart nicht nur äußerst kenntnisreich in die Geschichte und aktuelle Bedeutung der Mariazeller Wallfahrt einführte, sondern uns auch die Basilika und die Schatzkammern zeigte und erläuterte. Zahlreiche Pilger haben hier Votivgaben hinterlassen, an Hand derer sich nicht nur die Madonnenvorstellung, sondern auch die sich im Laufe der Zeit wandelnden Bitten der Pilger nachvollziehen ließen.

Von Mariazell aus ging es entlang eines Teils der Eisenstrasse zur Bergbaugemeinde Eisenerz. Während unser Bus den Umweg über Hieflau wählen musste, wanderte die Exkursionsgruppe entlang eines alten Säumerpfades über die Eisenerzer Höhe zum Leopoldsteiner See bei Eisenerz – eine Erfahrung, die näherbrachte, auf welchen Wegen und wie mühselig in früheren Zeiten Güter transportiert werden mussten. Eisenerz selbst ist ein Beispiel für den Wandel der postindustriellen Gesellschaften und so konnten wir am Erzberg, auf dem seit Jahrhunderten Eisenerz abgebaut wird, erfahren, wie innerhalb nur weniger Jahrzehnte die Mitarbeiterzahl im Bergbau selbst von mehreren Tausend Menschen auf circa 100 schrumpfte, wobei aufgrund von Modernisierung und Technisierung dieselbe Menge Erz abgebaut wird wie zu Zeiten der Höchstbeschäftigung. Der ehemalige Bergmann Franz Mrazek brachte uns in einem Dia-Vortrag den Arbeitsalltag des Untertagebaus in den 1960er bis 1980er Jahren nahe, der neben körperlichen Anstrengungen auch von Unfallgefahr geprägt war.

Von der schrumpfenden Stadt Eisenerz ging es in die Landeshauptstadt der Steiermark Graz, wo wir zunächst einen selbstgeführten Stadtrundgang absolvierten und die wichtigsten Eckpunkte der Stadt kennenlernten. Am folgenden Tag führten uns dann zunächst Elisabeth Katschnig-Fasch und Manfred Omahna in die Randgebiete von Graz in Viertel mit sozialem Wohnbau und schlechtem Leumund, deren Probleme und Lebensrealitäten sich aber erst bei genauerem Hinsehen erweisen und durchaus differenzierter zu betrachten sind, als dies auf den ersten Blick scheint. Am Nachmittag präsentierte uns Judith Laister das Lend-Viertel, wobei es sich um einen zumindest teilweise von Gentrifizierungsprozessen betroffenen Stadtteil von Graz handelt, in dem auch einige Kunstprojekte den Veränderungen der Stadt und des Städtischen nachspüren.

Im Anschluss daran fuhren wir zu unserer letzten Station an die steirisch-slowenische Grenze, wobei wir an einer der schönsten Stellen der südsteirischen Weinregion einen Zwischenstopp einlegten und den Tag bei Brettljause und Wein mit einem Blick auf die Weinberge und die untergehende Sonne ausklingen ließen. Am darauf folgenden Tag führte uns dann Klaus-Jürgen Hermanik durch die Heiligengeistklamm die steirischslowenische Grenze entlang und brachte uns die wechselhafte Geschichte dieser Grenzregionnäher, die – wie viele Grenzregionen – ein Raum der Konflikte, aber auch des Austauschs und der Aushandlungsprozesse war und ist. Nach dem abendlichen Besuch eines Schilcherweinfestes in Deutschlandsberg fuhren wir am nächsten Tag mit vielen Eindrücken und Erkenntnissen, aber auch erschöpft von langen Wanderungen sowie interessanten Führungen und Gesprächen nach München zurück. Abschließend sei allen unseren Kooperationspartnern, die uns geführt und uns ihr Wissen vermittelt haben, ganz herzlich gedankt.